„Mit der Industrie 4.0 wird nicht die dunkle und menschenleere Fabrik möglich“, sind sich die Tandem-Partner aus Wissenschaft und Praxis einig. „Der Mensch wird in der Arbeitswelt von morgen schwer zu ersetzen sein, es wird in einigen Bereichen eher eine Aufwertung seiner Tätigkeit erfolgen“. Bis dahin seien aber noch einige Herausforderungen zu meistern, „Industrie 4.0. ist kein Selbstläufer“.
Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen, Professor für Wirtschafts- und Industriesoziologie an der Technischen Universität Dortmund, verdeutlichte zunächst die digitale Vernetzung und die lernenden Systeme als technologische Merkmale der Industrie 4.0. Ergänzt durch Dr. Peter Stelter, Leiter Technologiemanagement bei der KHS GmbH, einem weltweit tätigen Anbieter von Getränkeabfüllungs- und Verpackungstechniken mit Sitz in Dortmund, beschreiben beide, wie die einst isolierten Industriebetriebe derzeit ihren Weg in miteinander vernetzte „Smart Factories“ beschreiten.
Prof. Dr. Hirsch-Kreinsen sieht die tatsächliche Umsetzung der Industrie 4.0-Prinzipien für die Praxis zunächst in Form von fragmentierten, digitalen Inselbereichen mit verschiedenen Arbeitsrollen und einer neugestalteten Mensch-Maschinen-Schnittstelle innerhalb der Betriebe. Die Arbeit wandele sich stark, automatisierte Vorgänge mit einem damit einhergehenden Kontrollentzug durch Technik impliziere hohes Störpotenzial, Arbeit werde deutlich komplexer, neue Qualifikationen werden benötigt. Dr. Stelter berichtet, dass Industrie 4.0 bei der KHS bereits an verschiedenen Stellen umgesetzt wird. So werden spezialisierte Betriebseinheiten gebildet, die innovative und vernetzte Techniken (z.B. RFID) nutzen, um das Serviceangebot zur Flaschendrucktechnik zu erweitern, mobile Kontrollsysteme für Smart Devices zu planen sowie die Nutzung der Virtual Reality zur Anlagenplanung beim Kunden zu ermöglichen.
Nicht allein die Verdeutlichung des technologischen Fortschritts, sondern auch der damit verbundene soziokulturelle Wandel der Arbeitnehmerrollen heizt die anschließende Diskussion an. Arbeitnehmer befinden sichin einem Spannungsfeld: Sie müssen höhere kognitive Fähigkeiten für die Nutzung derzunehmend komplexen Technologie aufbringen, was zur Aufwertung ihrer Arbeit führt. Gleichzeitig wird spezielles Fachwissen für standardisierte Arbeitsabläufe zunehmend überflüssig. Die stärkere Substitution der routinierten Arbeitsprozesse und zugleich die zunehmende Entscheidungsmacht der Arbeiter für die einwandfreie Bedienweise verdeutlichen, dass die immer komplexeren lernenden Systeme auch nur durch lernende Maschinenbediener beherrschbar werden. So gilt es, nach Meinung der Referenten, gemeinsame Gestaltungsstrategien für das Zusammenspiel von Personal, Organisation und der technischen Systeme zu schaffen.
In der ausführlichen Diskussion appellieren die Referenten an die Teilnehmer, dass es nun die Aufgabe der Betriebe sei, die Spannungsfelder zu lösen und den Weg für die kommende Industrieepoche mitzubeschreiten. Sie betonen, dass dies nur durch die Durchbrechung der traditionell eingesessenen Strukturen, der Klärung offener Datenschutzfragen sowie die Überwindung der mentalen Vorbehalte, gerade von kleinen und mittelständischen Betrieben, möglich wird. Abschließend wird deutlich, dass die Thematik für alle Beteiligten nicht nur eine Möglichkeit ist, den derzeit international beäugten Industriestandort Deutschland zu profilieren, sondern auch, um auf nationaler und regionaler Ebene die Attraktivität der Industriearbeit für Berufseinsteiger durch die Umsetzung der modernen Industrie 4.0 im eigenen Betrieb zu erhöhen.